Kunst- und Kulturstiftung Uri
Laudatio
Kunst ist nicht einfach, Kunst entsteht. Damit sie entsteht, baucht es eine Reihe von Bedingungen und Voraussetzungen. Es braucht Ideen und Gedanken, es braucht die Mittel und ein Medium, worin sich die Idee und Gedanken ausdrücken und realisieren können, es braucht die Fähigkeit, mit diesem Medium und Instrumentarium umgehen zu können, und es braucht andere Menschen. Es braucht jene, die das Entstandene aufnehmen, Betrachter und Zuhörer, Mitdenkerinnen, die fortführen, was in Raum und Zeit, was im Material eines Werkes angelegt ist. das ganze Feld zwischen aktiv und passiv gehört als Bezugsgeflecht zu einem Kunstwerk, das nie anders als in Interaktion, als kommunikativer Austausch zwischen Menschen, zwischen dem Künstler, der Künstlerin und ihrem Produkt erlebt und wahrgenommen werden kann.
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In der bildenden Kunst kann zwischen Entstehen und Vollziehen eine mehr oder weniger lange Zeitspanne liegen: Die Zeit dehnt sich über das Jetzt und sogar über die Anwesenheit des Künstlers hinweg in ein je und je wieder zu aktualisierendes Kontinuum hinaus. Was sich aber bestimmend zeigt, ist die Interaktion. Was sich zwischen Künstlerin und Werk im Entstehen formt, realisiert sich erst unter den Augen eines Betrachters, erfüllt sich erst in der sinnlichen Wahrnehmung, im gedanklichen Nachvollzug einer Betrachterin.
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"Kunst ist Handeln", sagt Franziska Furrer. Sie zeigt hier eine Arbeit, die die fünf Stunden, die das Zeitmass sind für die Einrichtung eines Werks in dieser Ausstellung, konsequent in eine Handlung umsetzt. Fünf Stunden lang mass die Künstlerin nach ihrer Armlänge Nähtlinge von schwarzen Fadenspulen ab, verknüpfte die Enden der abgespulten Fäden und liess aus der endlosen Fadenlinie einen Fadenhaufen wachsen und überquellen. Nicht das Werden - das haben wir als Performance verpasst, das können wir uns nur noch vorstellen - nicht das Werden sehen wir noch, sondern das Ergebnis, das doch noch einen Hauch des Unfertigen, des eben erst Liegengelassenen und Verlassenen erkennen lässt. Drei Sätze an der Wand hinter dem auf einem Spiegel liegenden Fadengewirr geben uns Einblicke in die Gedanken, die der Künstlerin beim Handeln durch den Kopf gehen, in die Empfindungen, die sie durchmacht: " Wenn ich anfange, kann ich leicht den Mut verlieren und glauben, dass ich nie zu einem Ende komme. Aber wenn ich mitten drin stecke und sich alles im richtigen Rhythmus befindet, haben Anfang und Ende keine Bedeutung. Wichtig ist nur, dass ich dranbleibe, bis sich alles zu einem eigenen Puls verbindet, der pocht und von selbst schlägt."
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Kunst heisst Bewusstwerdung und die Erfahrung von Zeit - wie sie Franziska Furrer in ihrer Kreisschrift vor dem Fadengewöll benennt: "Die Zeit ist komisches Ding. Verliere sie aus den Händen, und du bekommst sie womöglich nie mehr zu fassen."
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Kunst ist nicht einfach, sie entsteht. Das zeigen die hier ausgezeichneten Werke. Alle verdeutlichen sie auf ihre Weise, dass auch ein fertiges Werk nie abgeschlossen ist, dass das Gemachte auch gesehen, gehört, wahrgenommen und mitgedacht werden will.
Urs Bugmann